Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 21. März 1923
Verschiedene Dementis bezüglich der Ruhrfrage sind im Umlauf.
Die Dementiermaschine.
Von unserm Berliner k-Mitarbeiter.
Nahezu gleichzeitig ergießt sich von Paris,
London und Washington ein förmlicher Platz-
regen von Dementis, die alle darauf hinaus-
kommen, daß von einer Vermittlung in der
Ruhrfrage nicht die Rede sein könne. Am kräf-
tigsten arbeitet die Pariser Dementiermaschine
die rundweg jedes Vermittlungsangebot als un-
freundliche Handlung bezeichnet mit der Versiche-
rung, daß Sondierungsversuche seitens mehr oder
minder berufener Vermittler nicht berücksichtigt
würden, und daß nur unmittelbare amtliche Vor-
schläge der deutschen Regierung in Erwägung
gezogen werden könnten.
Gegen wen richtet sich das von der „Agence
Havas“ übermittelte Dementi der französischen
Regierung? Offenbar gegen die französische Re-
gierung. Denn die Berichte über angebliche Ver-
mittlung des britischen Kabinetts waren von
der Pariser Presse und zwar unverkennbar mit
Beeinflussung des Quai d’Orsay in die Welt ge-
setzt worden. Man tat so als ob es sich um
einen englischen Fühler handele, während es in
Wahrheit ein französischer Fühler zu sein schien.
Unterdessen aber hat an der Seine wieder die
schärfere Tonart Platz gegriffen, man befürchtet,
daß Vermittlungsgerüchte die Widerstandskraft
Deutschlands noch stärken könnten, und so spielt
man wieder den starken Mann.
Dementiert das Kabinett Poincare, wie ge-
zeigt, sich selber, so gilt das in gewissem Sinne
auch von Bonar Law. Wenn Reuter erklärt hat,
daß England so bald sich die Gelegenheit ergeben
würde, seinen Entschluß wiederholen werde, zwi-
schen Deutschland einerseits und Frankreich und
Belgien andererseits nicht zu vermitteln, so muß
daran erinnert werden, daß Bonar Law ganz im
Gegenteil im Unterhause erklärt hat, er hoffe,
daß der Zeitpunkt und die Möglichkeit kommen
werde, wo eine englische Vermittlung möglich
sein und von beiden Parteien gern angenommen
werden würde. Unterdessen aber ist das britische
Kabinett auf Frankreichs Drohungen mutig um
einen Schritt zurückgewichen, und zur Erläute-
rung der englischen Ruhrtirade ist ja im Unter-
hause recht handgreiflich auf die französische
Ueberlegenheit an Flugzeugen hingewiesen
worden.
Aber die Dementis von Reuter und Havas
zeichnen sich auch sonst durch einen erschrecken-
den Mangel an Logik aus. Ebenso wie Havas
erklärt, daß nur unmittelbare Vorschläge der
deutschen Regierung in Erwägung gezogen wer-
den könnten, bemerkt Reuter, es sei Deutschlands
Aufgabe, einen Plan vorzulegen, der Frankreich
und Belgien befriedige. Das heißt die Quadratur
des Zirkels fordern; denn Poincare will, wie
sogar die Londoner Presse feststellt, garnicht be-
friedigt werden; er will vielmehr eine Verständi-
gung über die Reparation verhindern, um freie
Bahn für seine Politik der Sanktionen und An-
nexionen zu haben.
Freilich lehrt ein Blick in die Pariser Presse
daß die öffentliche Meinung in Frankreich durch-
aus nicht ohne weiteres Poincares Standpunkt
teilt, daß vielmehr besonders die Kreise der In-
dustrie und des Handels sichtlich stark an einer
Verständigung mit Deutschland interessiert sind.
Auch glaubt man in Frankreich nicht mehr so
recht an die täglichen Versicherungen der Pa-
riser Presse, daß Deutschland zum Nachgeben be-
reit sei. Gerade um die Siegerstimmung auf-
rechtzuerhalten werden dauernd die angeblichen
deutschen Vorschläge angekündigt, die jedoch auf
freier Erfindung beruhen. Für die Reparations-
frage besteht seit dem Dezember vorigen Jahres
ein umfassendes, zweimal umgearbeitetes und
ergänztes deutsches Programm; aber gerade Poin-
care hat jede Unterbreitung der deutschen Vor-
schläge durch Bergmann in Paris verhindert,
ohne daß von britischer Seite dagegen Einspruch
erhoben wurde. Die jetzigen Vorhaltungen Bo-
nar Laws über „Deutschlands Aufgabe“ sind da-
her völlig verfehlt. Hat doch Poincare sogar die
Erörterung der englischen Vorschläge auf der
Pariser Konferenz verhindert.
Es ist also garnicht einzusehen, welchen Sinn
es haben könnte, wenn die Regierung jetzt neue
Vorschläge machte, was auch im Gegensatz zu
den darüber verbreiteten Gerüchten nicht in ih-
rer Absicht liegt. Es darf auch nicht übersehen
werden, daß die Ruhrfrage an sich nichts mit
dem Reparationsprogramm zu tun hat, vielmehr
hier nur von französischer Seite durch den ge-
waltsamen Einmarsch ein zwangsweiser Zusam-
menhang geschaffen wurde. Das Verlangen, daß
die deutsche Regierung neue Zugeständnisse ma-
chen soll, weil Frankreich seine Truppen mar-
schieren ließ, ist undenkbar.
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Stadtarchiv Troisdorf (21. März 2023). 21. März 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 16. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aew0