13. Juni 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 13. Juni 1923

Erneute Verhandlungen in der Solinger Metallindustrie ergeben Lohnerhöhungen von 50 bis 55 Prozent.

                           Lohnverhandlungs-Ergebnis
                                     für Metallarbeiter.
                                      50 bis 55 Prozent.
   Gestern fanden neue Lohnverhandlungen für die Metallindustrie
statt. Nach bis in die Nacht hinein dauernden Verhandlungen kamen
die Parteien zu folgendem Ergebnis: Die Teuerungszuschläge erhöhen
sich für
                         gelernte Arbeiter                                 von 447 100 auf 689 600,
                         angelernte Arbeiter                            von 472 300 auf 728 600,
                         ung[elernte] Schwerarbeiter        von 494 000 auf 762 000,
                         ung[elernte] Leichtarbeiter          von 506 900 auf 781 900,
                         Frauen u[nd] Mädchen                     von 517 100 auf 797 200.
   Der Akkordausgleich soll in Zukunft 7½ Prozent des Spitzen‐
grundlohnes betragen.
   Die bestehenden Akkordpreise erhöhen sich um 50 Prozent.
   Die gesamte Lohnerhöhung beträgt für Stundenlöhner durch‐
schnittlich 50 bis 55 Prozent.
   Die Betriebsräte sind verpflichtet, heute und morgen (vor der
morgen abend stattfindenden Betriebsräteversammlung) zu diesem An‐
gebot Stellung zu nehmen und eine Abstimmung in den Betrieben her‐
beizuführen. An dieser werden sich auch die christlichen Arbeiter be‐
teiligen.

   Dieses Ergebnis entspricht in keiner Weise der namentlich in den
letzten Tagen sprunghaft steigenden Teuerung. Nehmen wir den
Spitzenlohn von 4000 Mark pro Stunde ab 28. Mai und (zuzüg‐
lich 50 Prozent) 6000 Mark ab 12. Juni, dann steht dieser 110prozen‐
tigen Lohnerhöhung innerhalb zweier Wochen eine Preissteigerung von
rund 150 Prozent gegenüber. Vor allen Dingen aber muß berücksich‐
tigt werden, daß die tollsten Preissprünge erst in den nächsten Tagen
kommen werden. Gestern stand der Dollar bereits über 90 000. Die
Preise aller Waren folgen auf dem Fuße, weil Unternehmer und
Händler nach Goldmark rechnen. Die Unternehmer haben eben
nicht die Furcht vor den großen Ziffern, wie leider noch mancher Ar‐
beiter sie hat. Es ist notwendig, daß die Betriebsräte heute und
morgen die Belegschaften zusammenrufen und Stellung nehmen lassen.
Auf eins soll mit besonderer Schärfe hingewiesen werden: Die Unter‐
nehmervertreter haben gestern offen erklärt, daß sie auch 60 Prozent
bewilligen könnten, wenn man die Spannungen zwischen den Gruppen
erweitere. Sie wollten den schlecht bezahltesten Gruppen (den Gruppen
6 und 5, auch 4) noch geringere Löhne bewilligen. Das hat die Ver‐
handlungskommission der Arbeiter unter Protest abgelehnt. Es kann
auch keine andere Stellungnahme geben. Würde man darauf ein‐
gehen, dann heißt das die Solinger Mteallarbeiterschaft [sic!] auseinander
und gegeneinander zu bringen. Es liegt im Interesse der Arbeiter,
die Spannungen zwischen den Gruppen zu verringern. Das wäre ein
trauriger Arbeiter, der auf Kosten seiner Kollegen einen Herzenswunsch
der Unternehmer erfüllen würde. Wobei noch betont werden muß, daß
auch nicht ein einziger Arbeiter einen Nutzen davon hätte, aber der
Gesamtheit schwerer Schaden zugefügt würde. 
   Wir sind überzeugt, daß die Solinger Belegschaften restlos den
Standpunkt der Lohnkommission in diesem Punkte teilen und daß
sämltchie [sic!] Arbeiter, ob im christlichen, im Industriearbeiter- oder Me‐
tallarbeiterverband organisiert, sofort Stellung zu dem Egebnis [sic!] nehmen
werden.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (13. Juni 2023). 13. Juni 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 5. November 2025 von https://doi.org/10.58079/aevz


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