Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 4. Juni 1923
Ist die Freiwillige Feuerwehr Solingen eine reaktionäre Organisation, die absichtlich die Arbeiterschaft provoziert?
Eine gemeine, niederträchtige Provokation
den Arbeitern gegenüber geschah am gestrigen Tage seitens der hiesigen
Freiwilligen Feuerwehr auf dem Neumarkt. Die Arbeiter-Sport-
vereine veranstalteten am gestrigen Tage in ganz Deutschland einen
Reichsarbeitersporttag. Auch die Solinger Arbeitersportvereine zeigten
alle, wie sich die Arbeiter die sportlichen Veranstaltungen vorstellen
und wie der Sport von Arbeitern betrieben werden muß. Auch die
Arbeiter-Radfahrer zeigten auf dem Neumarkt, wie man einen ge‐
sunden Sport betreiben kann, ohne nach Auszeichnungen irgendwelcher
Art zu schielen. Die Arbeiter waren zu Tausenden erschienen, um mit
eigenen Augen zu sehen, was ihre Klassengenossen nun alles leisten
können. Schon oft hatten die Arbeiter die Darbietungen der Ar‐
beiter-Radfahrer bewundert, zuletzt noch bei der letzten Maifeier.
Die Radfahrer waren gegen 10 Uhr vormittags auf dem Neu‐
markt noch in vollem Reigenfahren, da geschah ein, so, wie es scheint,
mit Absicht von der hiesigen Freiwilligen Feuerwehr herbeigeführter
Zwischenfall, der, wenn nicht einige in der Oeffentlichkeit bekannte Ge‐
nossen dazwischen gesprungen wären, leicht ein Gelsenkirchen
oder Dortmund zur Folge hätte haben können. Ob die hiesige
Freiwillige Feuerwehr, durch die Vorfälle im Ruhrgebiet aufgemun‐
tert, nach solchen Taten lechzt und ob Orgeschjünglinge (es können auch
Jünglinge mit grauen Bärten sein) dazwischen sind, entzieht sich unserer
Kenntnis. Aber sicher ist, daß durch das gestrige Verhalten der Frei‐
willigen Feuerwehr ihr Ansehen nicht gestiegen ist, sondern die Ar‐
beiter alle Ursache haben, diese Leute auf Schritt und Tritt zu beob‐
achten. Die Arbeiter waren also noch im vollen Reigenfahren, da
kommt die Feuerwehr und fährt mit ihren großen, von zwei Pferden
gezogenen Gerätewagen, mit den dazu gehörigen Mannschaften, direkt
in die den Arbeiter-Radfahrern zuschauenden Massen hinein.
Eine gemeinere, niederträchtigere Handlungsweise
hat Schreiber dieser Zeilen selten gesehen. Wenn der frühere deutsche
Militarismus in solche Gelegenheiten kam, so wurde die Masse wenig‐
stens aufgefordert, auseinanderzugehen. Aber hier wurde ohne
jegliche Aufforderung in die Massen hineingefah‐
ren. Hierauf von Genossen zur Rede gestellt, machten die Herr‐
schaften noch große Augen, daß man ihnen, die sie doch Träger einer
Uniform sind, dieses, von gewöhnlichen Arbeitern in Zivilkleidung,
verbieten wollte.
Dieser Vorfall zeigt, daß wir das Tun und Treiben aller dieser
bürgerlichen Vereinigungen genau beobachten müssen, um
bei Zwischenfällen gewappnet dazustehen.
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Stadtarchiv Solingen (4. Juni 2023). 4. Juni 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aevr