Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 14. Mai 1923
Solingens Kriegsopfer protestieren massiv gegen geplante Gesetzesänderung
Protestkundgebung der Kriegsopfer.
Zu einem flammenden Protest gegen die neue Novelle zum Ver-
sorgungsgesetz hatten sich am Himmelfahrtstage die Kriegsopfer des
oberen Kreises Solingen zusammengefunden. Trotz des strömenden
Regens, so schreibt man uns, war der große Saal von Schmidt,
Mangenberg, bis auf den letzten Platz besetzt. Der Referent Busch-
Düsseldorf führte den Anwesenden in einer groß angelegten Rede
das Mannschaftsversorgungsgesetz und die „großen Vorteile“ der
neuen Novelle vor Augen. Aus seinen Ausführungen war klar zu er‐
sehen, daß die Reichsregierung den Kriegsopfern in der Novelle nicht
einmal das geben will, was schon 1920 festgelegt wurde. Das Gesetz
sagt ausdrücklich, daß die Renten immer der jeweiligen Teuerung
angepaßt werden sollen. Und was ist bis heute geschehen? Man hat die
Renten gegen 1920 heute um das 12fache erhöht, während die Regie‐
rung selbst zugibt, daß im Januar 1923 die Teuerung das 97fache
des Jahres 1920 ist. Was die Regierung bis jetzt betrieben hat und
noch weiter betreiben will, ist glatter Rentenraub. Allein
im 1. Vierteljahr 1923 hat die Regierung den Kriegsopfern 180
Milliarden Mark, welche ihnen gesetzlich zustehen, vorenthalten.
Sämtliche Organisationen sind sich darin einig, daß die vorgelegte
Novelle nie und nimmer zur Ausführung kommen darf, und erwarten
in diesem Kampfe die Unterstützung des Reichstages. Folgende Re‐
solution fand einstimmige Annahme:
„Die am 10. Mai 1923 tagende Protestkundgebung aller
Kriegsopfer des Kreises Solingen nimmt mit Entrüstung Kenntnis
von der durch die Reichsregierung geplanten Verschlechterung der
Reichsversorgung. Es wird verlangt, daß den berechtigten Forde‐
rungen in allen Formen nachgekommen wird. Als skandalös muß
es bezeichnet werden, wenn seitens der Reichsregierung der Geld‐
entwertung bei Zahlung der Renten nicht Rechnung getragen wird.
Da diese Forderung gesetzlich festgelegt ist, wird verlangt, daß die
Regierung unverzüglich ihren gesetzlichen Verpflichtungen nach‐
kommt und die Renten der Teuerung anpaßt. Da in der neuen
Novelle zum Reichsversorgungsgesetz der gesetzlichen Verpflichtung
ebenfalls nicht nachgekommen wird, protestieren die Kriegsopfer
gegen diese Regierungsmaßnahme und verlangen vom Reichstag,
daß die Novelle in der vorliegenden Form abgelehnt wird.“
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Stadtarchiv Solingen (14. Mai 2023). 14. Mai 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 23. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/aeus