Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 16. Februar 1923
Das Siegburger Kreisblatt zeichnet die verschiedenen Schritte der Ruhrbesetzung nach und nimmt Stellung zu den aktuellen Entwicklungen und zu den Folgen für Deutschland.
Der dritte Grad der Besetzung.
Auf dem Höhepunkt.
Die Ruhrbesetzung ist zu ihrem dritten Akt
vorgeschritten. Der erste Akt zeigte das Bild
des militärischen Einmarsches. Dieser erfolgte,
man sollte das nicht vergessen, angeblich wegen
rückständiger Kohlen- u. Holzlieferungen Deutsch-
lands. Der zweite Akt brachte die Festsetzung
des Gegners auf deutschem Boden, ebenfalls
angeblich weil Deutschland unerwarteten Wider-
stand leiste und die Reparationskohle nicht ab-
führe. Aber schon der Vormarsch ins badische
Gebiet unter dem Vorwand, D-Zugverbindungen
sichern, zu müssen, verriet die weitergehenden
Abschnürungspläne Poincarees. Aus der Pfän-
derpolitik die ein Kampf um die Kohlen sein
sollte, wurde offener politischer Krieg. Die
Masken fielen. Der dritte Akt begann mit der
Eisen- und Stahlsperre, die doch mit der Kohlen-
frage nichts mehr zu tun hat. Kommt nun das
Verbot der Ausfuhr aller Waren aus dem ge-
samten besetzten Gebiet ins unbesetzte Deutschland
hinzu, so ist die Blockade fertig und der Kriegs-
zustand, selbst wenn nicht geschossen wird, voll-
ständig. In diesem Sinne besetzten die fran-
zösisch-belgischen Truppen die Orte Wesel und
Emmerich. „Auf diese Weise“, so meldete der
Berichterstatter des Petit-Parisien aus Düssel-
dorf frohlockend seinem Blatte, „unterdrücken
wir mit einem Schlage die deutschen Zollbehör-
den.“ Zu ihrem Leidwesen mussten nun die Gene-
rale entdecken, daß aus Wesel noch in der Nacht
das gesamte Eisenbahnmaterial weggeschafft war.
Die Besatzung stand ratlos vor leeren Geleisen.
Und in Emmerich befinden sich keine für Deutsch-
land bestimmten Güter mehr auf dem Bahnhof,
nur Kohlenzüge und Warensendungen für Hol-
land. Will man auch in diesem Krieg über die
Rechte der Neutralen hinweggehen? Dem fran-
zösischen Zollkniff an der deutsch-holländischen
Grenze hat die – Rehinlandkommission vorge-
arbeitet, indem ihre französischen und belgischen
Mitglieder – der Engländer hielt sich abseits
– ein neues Ausfuhrverbot für Farbstoffe, Dün-
gemittel und Samen aller Art erließen und in-
dem sie ferner anordneten, daß dieses wie die
bisherigen Ausfuhrverbote für Kohle, Koks,
Eisen, Stahl und Erzeugnisse aus Eisen und
Stahl im ganzen alt- und neubesetzten Gebiete
Anwendung finden soll. Ausfuhrbewilligungen
werden nur gegeben von den neu eingerichteten
Ausfuhrämtern in Ems, Mainz, Köln, Essen,
Krefeld und Aachen. Was wird die Folge sein?
Deutsche Beamte tun in diesen neuen Aemtern
keinen Dienst. Ohne sie wird man mangels
jeder Kenntnis und Erfahrung der deutschen
Wirtschaftsverhältnisse nicht zurechtkommen. Die
Besetzung der Zollämter von Wesel und Emme-
rich bedeutet also in Verbindung mit den Attrap-
pen neuer Ausfuhrämter in Wahrheit die Sper-
rung der Wirtschaft, den Beginn des Blockade-
krieges. Damit erreicht das Drama seinen Höhe-
punkt. An der Grenze des ganzen besetzten
Gebietes haben die Franzosen und Belgier
Schlagbäume errichtet und Gräben aufgeworfen.
Keine Ware wird herausgelassen. Niemand darf
in Lastautos Erzeugnisse, die im besetzten Gebiet
hergestellt sind oder dort lagern, ausführen. So
ist in der Tat das besetzte vom unbesetzten
Deutschland abgeschnürt und eine Zollgrenze heute
schon errichtet. Das Bezeichnende an diesen neue-
sten „Strafsanktionen“ ist, daß sie streng durch-
geführt werden. Last- und Privatautos wer-
den ohne vorherige Mitteilung beschlagnahmt,
jede Milchfuhre kontrolliert, jede Marktfrau mit
ihrem Wägelchen aufgehalten. Zwischen Mainz
und Frankfurt hat diese Spannung zwischen Ein-
wohnerschaft und französischem Militär einen
Grad erreicht, der das schlimmsten befürchten
läßt. Wie sich die deutsche Politik in diesem
kritischen Augenblick einstellen muß, hat der
Reichspräsident in Karlsruhe vor Vertretern der
Presse mit schlichten Worten angedeutet. Herr
Ebert sagte: Der Kampf darf nicht um des
Kampfes willen geführt werden. Man muß die
Augen offen halten, um nach Möglichkeiten zu
sehen, wie dem deutschen Volke die schweren
Zeiten dieses neuen Krieges abgekürzt werden
können.“ Die Stunde der Parlamente ist ge-
kommen. Der Reichstag tagt. Das britische
Unterhaus hat seine Verhandlung begonnen. Und
vor dem auswärtigen Ausschuß der französischen
Kammer will Poincare Rede stehen. Wird der
Umschwung kommen, ehe es für alle beteiligten
Nationen zu spät ist?
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Stadtarchiv Troisdorf (16. Februar 2023). 16. Februar 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 12. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/aelc