12. Januar 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 12. Januar 1923

Nach der Ruhrbesetzung durch französisches und belgisches Militär, richtet der Ohligser Bürgermeister Paul Sauerbrey am 11. Januar 1923 einen patriotischen Appell an die versammelten Stadtverordneten. Bemerkenswert ist, dass im Protokollband zur Stadtverordnetenversammlung (Archivsignatur: V-C-002-Bd-12) zwar die Beschlüsse der Sitzung, aber kein Hinweis auf den Inhalt der Rede dokumentiert ist.  

       -ab- Ohligs, 12. Januar. Die gestrige Stadtverordneten-
sitzung brachte in mehrfacher Hinsicht eine Ueberraschung
und zwar reich an interessanten, zum Teil sogar erfreulichen Augen-
blicken. Man hatte den Eindruck, daß der „revolutionäre“ Bür-
germeister Paul Sauerbrey es versteht, allmählich dem schweren
Ohligser Ackerboden etwas abzuringen. Seine Ausführungen in
der Frage der Ruhrbesetzung waren von einer Nachdrücklichkeit,
daß selbst Rechte mit ihrer Zustimmung nicht zurückhielt. Was
Sauerbrey sagte, waren nicht leere Redensarten, sondern von jeder
Parteipolitik freie eindrucksvolle Worte eines Deutschen. Hatten
schon die Einführungsworte auf das Kollegium eine starke Wir-
kung, so verstand es der Bürgermeister bei dem Hauptpunkt der
Tagesordnung, der Deckung des Fehlbetrages nochmals, seinen
Stadtvätern den Ernst der Zeit recht eindringlich vor Augen zu
führen. Veranlassung hierzu gaben die Ausführungen des Kom-
munisten Scharrenberg, der alle geforderten Steuern grundsätzlich
ablehnte und eine Brandrede gegen den Kapitalismus hielt. Ge-
schickt parierte Sauerbrey die an sich recht eindruckslosen kommu-
nistischen Ausführungen und erklärte: „Es gibt auch für den
Parteipolitiker Augenblicke, wo er die Politik in den Hintergrund
stellen und eine Einheitsfront bilden muß. Dieser Augenblick ist
heute, wo der französische Imperialismus daran ist unser Volk
abzuwürgen, gekommen. Ein einiges deutsches Volk ist heute
mehr denn je zuvor notwendig.“ Ueberzeugen konnte er zwar
die Kommunisten mit seinen Worten nicht. Die Wirkung war
auf der anderen Seite aber derartig, daß die bürgerliche Arbeits-
gemeinschaft und die Sozialisten in starke Beifallskundgebungen
ausbrachen. Das Kollegium bewilligte unter dem Druck der Ver-
hätnisse restlos die Steuerforderungen der Verwaltung, durch
welche alle Bürgerkreise belastet werden, gegen die Stimmen der
Kommunisten. – Von den übrigen Punkten, die zum Teil formaler
Natur waren, mag noch die Frage des Wohnungsamtes hervor-
gehoben werden. Zur Abwechslung gingen hier die Kommunisten
mal mit den Bürgerlichen zusammen. Beide Parteigruppen
wollen – – den Wohnungsinspektor beseitigen. – Die Denk-
malsfrage fand eine ziemlich reibungslose Erledigung da Bür-
gerliche und Sozialisten den Beschluß, das Denkmal abzubrechen,
wieder aufhoben. Natürlich sträubten sich auch hiergegen die
Kommunisten. Sie wollten sogar Ueberstunden machen und die
beiden Hohenzollern kostenlos abbrechen. Ihr Widerstand scheiterte
aber an dem Mehrheitsbeschluß. Vielleicht war es gut so, denn
gerade einer Stadt wie Ohligs sind parteipolitische Gegensätze
wirklich nicht förderlich.

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Paul Sauerbrey, Bürgermeister von Ohligs. Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bildarchiv RS 10952


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Stadtarchiv Solingen: RK (12. Januar 2023). 12. Januar 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/ae1f