Quelle: Stadtarchiv Kleve, B 14, Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 1. Februar 1923, S. 283-285
Nach der Verhaftung des Bürgermeisters Dr. Heinrich Wulff und des Beigeordneten Bernhard Baak leitet Justizrat August Fleischhauer die außerordentliche Sitzung der Stadtverordneten von Kleve, an der auch viele Bürgerinnen und Bürger teilnehmen. In angespannter und emotionsgeladener Stimmung wird erneut eine Protestnote verfasst und an den Kreisdelegierten geschickt. Die Bevölkerung wird zur Bewahrung der Ruhe aufgerufen.
In geheimer Sitzung wird über das weitere Vorgehen beraten und die Wahl weiterer Beigeordneter beschlossen.
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Sitzung
der
dringlichen Stadtverordneten-Versammlung am Donners-
tag, den 1. Februar 1923
Gesetzmäßig zusammenberufen durch Einladungs-
schreiben vom 1. Februar 1923. (Die Einladung erfolgte
wegen Dringlichkeit mit abgekürzter Frist § 38 der Städte-
ordnung.)
Nach Eröffnung der Versammlung wurde in öffent-
licher Sitzung verhandelt was folgt:
I. Oeffentliche Sitzung.
Der Vorsitzende teilte mit, daß nunmehr auch der
besoldete Beigeordnete Baak von der belgischen Besatzungsbe-
hörde gewaltsam fortgeführt worden sei. Er sei am 30. v[origen]
M[ona]ts nachmittags 4 Uhr zur Ortskommandantur bestellt
worden und von da nicht zurückgekehrt. Später habe man
festgestellt, daß er gegen 5 1/2 Uhr mittels Auto unter mi-
litärischer Begleitung nach Crefeld fortgeführt worden sei.
Der Vorsitzende kennzeichnet diesen weiteren gewaltsamen
Eingriff in die Selbstverwaltung unserer Stadt in ge-
bührender Weise und hebt hervor, daß Herr Beigeordneter
Baak das Opfer seiner Pflichttreue und seines Man-
nesmutes als Deutscher geworden sei.
Im Weiteren sprach der Vorsitzende an die in
überaus großer Anzahl versammelte Bürgerschaft die Bitte
aus, diese Handlungen der Gewalt mit Würde und Ruhe zu
ertragen und sich aller provozierenden und für die Allge-
meinheit schädlichen Kundgebungen zu enthalten. Er richte-
te diese Bitte namentlich an die Jugend. Stadtverordneter
Schmidt beantragt hierauf, die Stadtverordneten mögen
beschließen nachstehenden Protest zu erheben und ihn dem
Kreisdelegierten schriftlich mitzuteilen.
„Nachdem wir erst vor 30 Stunden energischen
Protest gegen die widerrechtliche Entfernung des
Herrn Bürgermeisters aus seinem Amte aus-
sprechen mußten, ist gestern auch unser Beigeordneter
Herr Baak verhaftet und abgeführt worden.
Wir legen gegen diesen gewaltsamen Eingriff in
die Selbstverwaltung unserer Stadt schärfsten Pro-
test ein.
Herr Baak wurde das Opfer seiner Pflichttreue
und seines Mannesmutes als Deutscher.
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Die Beigeordneten. Die Stadtverordneten.“
Die Stadtverordneten-Versammlung nimmt
diesen Antrag einstimmig und unter einhelligem lebhaf-
ten Beifall der Bürgerschaft an.
Im Anschlusse hieran teilt der Vorsitzende
noch mit, daß gegen mittag ein Telegramm folgenden
Inhalts eingelaufen sei:
„Auf Befehl der Interalliierten Kommission
wird mitgeteilt: Bürgermeister Dr. Wulff abge-
setzt.“ Er führte dazu weiter aus, und die Stadt-
verordneten Versammlung stimmt dem einstimmig
zu – daß selbstverständlich Bürgermeister Dr. Wulff
nach wie vor als gewählter Bürgermeister der
Stadt Cleve gelte.
Die Stadtverordneten sowohl wie die Bür-
gerschaft hörten die gesammten Ausführungen
sowie die Verlesung des Protestes und des Tele-
grammes stehend an. Zum Schlusse forderte der
Vorsitzende sämtliche Anwesende auf, ihrem Gelöbnis
immerdar treu zum deutschen Vaterlande, dem Staate
und dem Reiche zu stehen, komme was da wolle
durch den Ruf Ausdruck zu verleihen: „Unser deut-
sches Vaterland es lebe hoch!!!“ Die Versammlung
stimmte begeistert in diesen Ruf ein.
II. Geheime Sitzung
1) Der Vorsitzende gab eine Darstellung der
seit seinem Amtsantritte mit der belgischen Besatzungs-
behörde gepflogenen Verhandlungen und der Unterre-
dung, die er danach mit dem Vertreter des Regierungs-
Präsidenten, Oberregierungsrat Hoche, gehabt habe.
Oberregierungsrat Hoche habe ihm die Weisung ge-
geben, auch seinerseits den Befehl betreffend die Unter-
bringung belgischer Zollbeamten abzulehnen. Er teilte
ferner die Stellungnahme der Regierung zu der Frage
der Wahl weiterer unbesoldeter Beigeordneter mit.
Oberregierungsrat Hoche habe davon abgeraten und
empfohlen, den jeweils ältesten Bürobeamten mit der
Vertretung des Bürgermeisters zu beauftragen.
Die Frage ob es zweckmäßiger sei, noch weitere
besoldete Beigeordnete zu wählen, um dadurch die Gefahr
herbeizuführen, daß noch weitere Stadtverordnete ent-
fernt werden würden oder die Vertretung den Beamten
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Beamten zu übertragen und dadurch nach und nach den Büros
ihre Leiter zu entziehen, wurde eingehend erörtert. Nachdem
Einigkeit darüber herrschte, daß der Dringlichkeit wegen
schon heute grundsätzlich zu dieser Frage Stellung genommen werden
müsse, wurde beschlossen, noch weitere 4 unbesoldete Beigeordnete
zu wählen.
Die namentliche Wahl soll in der nächsten Sitzung
erfolgen und für den Fall, daß infolge der Einholung der
Bestätigung oder infolge etwaiger Nichtbestätigung der Be-
satzungsbehörde eine Vakanz eintreten würde, den je-
weils ältesten leitenden städtischen Beamten mit der Ver-
tretung des Bürgermeisters zu beauftragen. Ausgenommen
sollen hiervor sein die Leiter der städtischen Betriebe und
Kassen. (Gaswerk, Wasserwerk, Schlachthof, Sparkasse, Stadt-
hauptkasse), weil diese Betriebe unter allen Umständen im
Interesse der Allgemeinheit aufrecht erhalten werden müssen,
sogar auch für den Fall, daß die Verwaltung von der Be-
satzungsbehörde an sich gerissen würde. Zu den Betrieben,
die unter allen Umständen weitergeführt werden müßten,
gehöre auch das Kanalpumpwerk.
Die Stadtverordneten-Versammlung nahm dann
von einer Erklärung des Bürodirektors Klinkhammer
Kenntnis, daß sich in einer kurz vor der Stadtverordneten-
Sitzung stattgefundenen allgemeinen Versammlung der städti-
schen Beamten und Angestellten sich diese einmütig hinter
die Herren gestellt haben, die bisher wegen ihres Fest-
haltens an den Weisungen ihrer verfassungsmäßigen
Regierung weichen mußten und noch weichen werden,
daß in dieser Versammlung ferner einhellig und mit Be-
geisterung erklärt worden sei, daß die Beamten und
Angestellten nicht unter einem fremden Leiter der Verwal-
tung arbeiten würden und daß sich ferner sämtliche Beamte
ohne Ausnahme bereit erklärt hätten, g[egebenen] F[alls] sich für die Füh-
rung der Geschäfte zur Verfügung zu stellen. Der Bürodirek-
tor Klinkhammer wurde beauftragt, in der nächsten
Sitzung eine Liste vorzulegen, aus der die Reihenfolge
hervorgeht, in der von den in Betracht kommenden städti-
schen Beamten g[egebenen] F[alls] die Vertretung zu übernehmen ist.
2.) Die Stadtverordneten-Versammlung ist damit
einverstanden, daß wenn Gassparzeiten eingeführt wer-
den müssen, der Gaswerksdirektor selbständig vorgehen
kann.
v[orgelesen] g[enehmigt und] u[nterschrieben]
[Unterschriften]
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Stadtarchiv Kleve (1. Februar 2023). 1. Februar 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 22. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/aeh2