Quelle: Stadtarchiv Kleve, B 14, Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 27. Januar 1923, S. 277-279

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Aufgrund der Ruhrbesetzung werden am 27.1.1923 die Stadtverordneten von Kleve zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen. Der Bürgermeister Dr. Heinrich Wulff informiert über die Ereignisse in Kleve und die Konsequenzen der Proteste gegen die Ausweisung und Verhaftung städtischer Beamter. Der Stadtverordnete Klein sei bereits verhaftet worden. Die Stadtverordneten schließen sich einer Protestkundgebung gegen die Ruhrbesetzung an. Außerdem beschließen sie die Zahlung von Vorschüssen an Bürger und städtische Beamte bei Schadensersatzansprüchen, die im Zusammenhang mit der Besetzung entstehen.

[S. 277]

                                                   Sitzung
                                                          der dringlichen
Stadtverordneten-Versammlung am Samstag, den
27. Januar 1923.
      Gesetzmäßig zusammenberufen durch Einladungs-
schreiben vom 27. Januar 1923. Die Einladung erfolgte wegen
Dringlichkeit mit abgekürzter Frist (§38 der Städteordnung).
Nach Eröffnung der Versammlung wurde in
geheimer Sitzung verhandelt was folgt:

      Der Vorsitzende gibt eine Darstellung der
durch die verschärften politischen Verhältnisse in der
Stadt Cleve geschaffenen Lage und der Vorgänge
der letzten Tage, insbesondere der am 26. erfolgten
Volkskundgebung aus Anlaß der Ausweisung und
Fortführung einiger Staatsbeamten.
      Er schildert ferner die im Anschluß an diese
Volkskundgebung am Vormittage des Sitzungs-
tages gehabte Unterredung mit dem Kreisde-
legierten und den Standpunkt, den er einge-
nommen habe.
      Im Weiteren erwähnt er die Konfliktsmög-
lichkeiten, die infolge der Haltung der Staats-
regierung gegenüber den neuen Sanktionen
für ihn und jeden anderen städtischen Beam-
ten eintreten könnten und die Folgen, die
sich aus der den Beamten bei derartigen Fällen
vorgeschriebenen Haltung für ihn und die Beam-
ten ergeben könnten.
      Er nehme ohne Weiteres an, daß die Stadt
voll und ganz hinter den Beamten stehe und
deren und ihrer Familie bis nach Möglichkeit er-
leichtern werde.

      Er teilt endlich noch mit, daß kurz vor der
Sitzung eine Besprechung der Behördenvorstände,
der Vorstände der Beamten- und Arbeitergewerk-
schaften und der wirtschaftlichen Organisationen
stattgefunden habe. Man habe sich dahin ge-
einigt, daß am Montag eine gemeinschaftliche
Protestkundgebung gegen das Vorgehen bez[ü]gl[ich]
der Ruhrgebietsbesetzung erscheinen solle.
      Die Stadtverordneten-Versammlung beschließt
sich dieser Protestkundgebung in folgendem Wort-
laut anzuschließen:
      „Die Verwaltung und die Stadtverordnetenver-

[S. 278]

      sammlung der Stadt Cleve schließen sich
      dem Proteste der Behörden, wirtschaftlichen Ver-
      bände und politischen Parteien einhellig an.
      Sie geloben auch ihrerseits dem deutschen
      Vaterlande immerwährende Treue.
      Nicht Gewalt, nicht List werden sie je von
      Staat und Reich trennen.“
             Der Bürgermeister, die Beigeordneten,
                     die Stadtverordneten.
Um den Beamten und sonstigen Bürgern, die
in Erfüllung ihrer Pflichten gegen Staat und
Reich Schaden erleiden, von vornherein Ge-
währ für sofortige Hilfe und vollen Ersatz
zu leisten, faßt die Stadtv[ordneten]-Versammlung ferner folgende Beschlüsse: Die Stadtverordneten-Versamm-
lung beschließt, den städtischen Beamten und
sonstigen Bürgern, denen durch die Erfüllung
ihrer vaterländischen Pflicht aus Anlaß der Ereig-
nisse, die mit der Ruhrbesetzung zusammen-
hängen, gegen den Staat und das Reich
Schadensersatzansprüche erwachsen, darauf recht-
zeitig ausreichende Vorschüsse zu gewähren. Aus-
geschlossen sind Schäden dieser Art, die nichtstädti-
schen Beamten aus Anlaß der Erfüllung ihrer
Berufspflicht entstehen.
      Ferner beschließt die Stadtverordneten-Ver-
sammlung, daß die Stadt für solche nach-
weisbare Schäden ihrerseits Ersatz leisten soll,
die städtischen Beamten und sonstigen Bürger
durch Erfüllung ihrer vaterländischen Pflicht
aus Anlaß der Ereignisse, die mit dem Einfalle
in das Ruhrgebiet zusammenhängen, von Sei-
ten der Besatzungsbehörde zugefügt werden,
ohne daß vom Staate oder Reich Ersatz ge-
leistet wird.
      Über das Vorhandensein und die Höhe
des Schadens entscheidet unter Ausschluß des
Rechtsweges die städtische Verwaltung im
Einvernehmen mit der Stadtverordneten-Ver-
sammlung.
      Es wurde dann noch angeregt, der Familie
des Stadtverordneten, Lokomotivführers Klein.
der von der Besatzungsbehörde verhaftet ist, die
Anerkennung und den Dank der Stadtverordne-
ten-Versammlung für sein mannhaftes
Verhalten auszusprechen.

[S. 279]
      Zum Schlusse der Sitzung kam dann
noch einmütig von allen Parteien zum Aus-
drucke, daß in dieser schweren Zeit alle Parteiun-
terschiede fallen müßten. Nur Einmütigkeit
und Geschlossenheit könne zum Ziele führen.
[Unterschriften:]

Dr. Wulff [Bürgermeister]              W. Lamers
                                                                     Janssen
                                                                     F. Jennen
                                                                     Haarhaus