Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 21. März 1923
Eine „denkwürdige Sitzung“ der Höhscheider Stadtverordneten. Die kommunistische Mehrheit weist die Beanstandungen durch den Regierungspräsidenten als Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht entschieden zurück und spricht dem Höhscheider Bürgermeister Pohlig jegliches Vertrauen ab.
Kampfzeichen im Höhscheider Stadtverordnetenkollegium.
Bekanntlich werden seit Jahr und Tag die Beschlüsse, des Höh-
scheider Stadtverordneten-Kollegiums – weil kommunistische Mehr-
heit – von der Regierung mit Argusaugen überwacht. Und warum?
Weil eben dort eine Kommunalpolitik getrieben wird, wie es sich
gehört in einer Gemeinde mit überwiegend proletarischer Bevölke-
rung. Unsere Genossen tun ihr Möglichstes im Interesse der ärmeren
Volksklassen und anderseits den Besitz zu belasten. Das macht jedoch
sowohl den bürgerlichen Geldsacksvertretern mitsamt ihrem gefügigen
Bürgermeister, wie auch den vorgesetzten Behörden schweres Kopfzer-
brechen. So also ist es kein Wunder, wenn sich daraus des öfteren
heftige Differenzen ergeben. Und auch jetzt wieder befindet sich das
Kollegium bezw. die kommunistische Stadtverordneten-Fraktion im
Kampfstadium, da die Regierung sich anschickte, das Selbstverwal-
tungsrecht der Gemeinde in unerhörtester Weise anzutasten. (Man
erinnere sich der letzthin beschlossenen Nachtragsumlage sowie ferner
des seitens der Regierung verlangten Abbaues der Wohlfahrtsunter-
stützungssätze. Und das in der heutigen furchtbaren
Teuerungsperiode. Red.)
Vor Eintritt in die Tagesordnung erbat sich Gen[osse] Lüchem das
Wort zur Begründung der nachstehenden Erklärung. In recht treff-
licher Weise geißelte unser Genosse das eigennützige Ver-
halten des Bürgermeisters sowie die Ignorierung
der Beschlüsse des Kollegiums durch ihn. Demzufolge
brauche man sich nicht zu wundern, daß Bezirksausschuß und Regie-
rungspräsident sich Beanstandungen erlauben. Derartige grobe
Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht der Ge-
meinden gelte es endlich mit aller Schärfe abzu-
wehren. Redner betonte, daß die kommunistische Fraktion gewillt
sei, den Kampf aufzunehmen, den man ihr jetzt mit aller Gewalt
aufzwinge. Er verlas folgende Erklärung:
Die Stadtverordnetenversammlung nimmt Kenntnis von der
Festsetzung der Nachtragsumlage durch den Regierungspräsidenten
und den Bezirksausschuß zu Düsseldorf. In dem Vorgehen der
übergeordneten Instanzen erblickt sie einen Eingriff in das Selbst-
verwaltungsrecht der Gemeinden und protestiert auf das
schärfste gegen diese Maßnahmen. Die Regierung hat mit
ihren Maßnahmen den Rahmen ihrer Kompetenz überschritten, die
Ausschaltung der Stadtverordnetenversammlung ist gesetzlich nicht
zu begründen. Diesem Willkürregiment kann die Stadtverordne-
tenversammlung nicht bloß mit Protesten entgegentreten, sondern
wird dens chärfsten [sic!] Kampf gegen dieses führen müssen. Die Stadt-
verordnetenversammlung erwartet von der Verwaltung, daß sie in
diesem Kampfe der Stadtverordnetenversammlung zur Seite steht
und alles unternimmt, was geeignet ist, diesem unwürdigen Zu-
stand ein Ende zu bereiten.
Durch die Beanstandung des Beschlusses Nr. 9 vom 24. Nov.
1922 hat der Bürgermeister das Selbstverwaltungsrecht selbst preis-
gegeben und damit das Gemeindeinteresse aufs gröb-
lichste verletzt. Die Stadtverordnetenversammlung protestiert
auf das schärfste gegen das Verhalten des Herrn Bürgermeisters
und erklärt, daß sie ihm jedes Vertrauen abspricht
Das Kollegium unterstreicht aufs neue die Erklärung vom 7. März
1923 und lehnt der Verwaltung jegliche Mittel
solange ab, bis sie hinreichende Garantien dafür
hat, daß derartige Eingriffe nicht mehr vor-
kommen.
Die Fraktion der KPD.
Der Bürgermeister versuchte sich mit angeblichen „Mißverständ-
nissen“ aus der heiklen Situation zu retten, jedoch vergeblich
Er mußte endlich zugestehen, daß er mit einem Verwaltungsbe-
amten, anstatt mit einem Vertreter des Stadtver-
ordneten-Kollegiums sich zur Regierung begeben habe.
Bürgermeister Pohlig übertrug alsdann den Vorsitz dem Beigeord-
neten Nouvertne und verlies [sic!] den Sitzungssaal. Gen[osse]
Nouvertne ließ über die Erklärung abstimmen, wobei sich deren
Annahme ergab mit 17 gegen 8 Stimmen, bei mehreren Enthal-
tungen.
Da die Erklärung besagt, daß die Kommunisten einstweilen jeg-
liche Bewilligungen ablehnen, fühlte sich auch Gen[osse] Nouvertne außer-
stande, den Vorsitz weiter zu führen. So trat dann der Beigeordnete
Stolz (BA.) an seine Stelle, der seinen Stolz darein setzte, die
Sitzung zu Ende zu führen. Sonderbar aber mutete es uns denn
doch an, daß er von seinen sämtlichen bürgerlichen Kollegen im
Stich gelassen wurde, denn sie alle folgten den Hasenspuren ihres
„mutigen“ Stadtoberhauptes. Es wurden dann die Punkte formeller
Art (8, 11 usw.) ohne Debatte genehmigt. Und schließlich wählte man
jedenfalls aus Anerkennung für seine bewiesene Unerschrockenheit
in der kommunistisch-sozialistischen Löwengrube — den Beigeordneten
Stolz als Schiedsmann für den 4. Bezirk.
Damit hatte auch diese denkwürdige Sitzung ihr baldiges Ende
erreicht. Und nun dürfte es an der Arbeiterschaft Höhscheids liegen,
fest hinter ihren kommunistischen Vertretern zu stehen, um den Kampf
mit der arbeiterfeindlichen Regierung gut zu bestehen. Vorwärts
denn!
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Stadtarchiv Solingen (21. März 2023). 21. März 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aegm