16. März 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 16. März 1923

Der Sekretär des Solinger ADGB, Ernst Rahm, erläutert die Hintergründe für die Nichtteilnahme der VSPD an der März-Gedenkfeier

                    Wer sind die Arbeiterzersplitterer?
     März-Gedenkfeier und das Verhalten der VSPD. Solingen.
   Zunächst die Gegenüberstellung zweier Notizen in dem offiziellen
Parteiorgan der VSPD., dem „Solinger Volksblatt“.
   Es schrieb am Dienstag, den 13. März: „Feier für die
Märzkämpfer. Zum Gedenken der Märztoten im Befreiungs-
kampf des werktätigen Volkes veranstaltet der ADGB. Solingen am
kommenden Sonntag eine Gedächtnisfeier. Bei günstigem Wetter
wird die Feier nachmittags 4 Uhr an den Gräbern der im Kapp-
Putsch Gefallenen sein. Der 18. März 1923 hat für das deutsche
Proletariat um so größere Bedeutung, da sich an diesem Tage zum
75. Male die Ereignisse der Berliner Barrikadenkämpfe jähren. In
ganz besonderem Maße soll am Sonntag an die Opfer des Kapp-
Putsches gedacht werden. Denn auch sie waren es, die gleich den
Kämpfern von 1848 ihr teures Blut für die Revolution, für die
deutsche Republik dahingegeben haben. Deshalb hat die gesamte Ar-
beiterschaft und darüber hinaus die republikanische Bevölkerung die
Pflicht, die Toten des März in der würdigsten Art zu feiern — Wir
ersuchen unsere Anhänger, den kommenden Sonntagnachmittag für
diese Feier freizuhalten.“
   Und am Donnerstag, den 15. d[iesen] M[ona]ts, brachte es folgende
niedliche Meldung: „Achtung, Parteigenossen! Infolge der
vom ADGB. gebrochenen Vereinbarungen mit unserer Partei, be-
treffend die Märzfeier, machen wir den Parteigenossen bekannt, daß
sich unsere Partei nicht an der vom ADGB. veranstalteten Feier be-
teiligt. Die VSPD. wird eine eigene Veranstaltung treffen, und
zwar für Sonntag abend 6 Uhr. Lokal wird noch näher bekannt-
gegeben.“
   Was ist nun in der Zwischenzeit geschehen?? Am
Mittwoch, den 14. März, hat eine Parteiversammlung der VSPD.
im Lokale Monhoff stattgefunden, in dieser hat man bei 70 Anwesen-
den mit 15 gegen 4 Stimmen beschlossen, sich nicht an dieser Feier zu
beteiligen und eine Sonderveranstaltung zu treffen. Auch eine
Frucht der Einheitsfront mit Stinnes!
   Nun zur Sache selbst. Der Kollege Rahm als Sekretär des Orts-
ausschusses ladet am 20. Februar schriftlich die VSPD. und die KPD.
zu einer Besprechung für den 22. Februar wegen Abhaltung der
Märzfeier nach dem Bureau des Ortsausschusses ein. Ein Vertreter
der KPD. erscheint. Die Anwesenden unterhalten sich noch darüber,
daß die VSPD. wieder lange auf sich warten läßt. Dann klingelt es
und Wilh[elm] Koch, Distriktsleiter der VSPD. von Solingen, teilt
dem Kollegen Rahm folgendes mit: „Da bei uns (der VSPD.) zwei
Anträge vorliegen, die verlangen, mit der KPD. keine gemeinsamen
Veranstaltungen zu machen, müssen wir erst die morgige Versamm-
lung abwarten.“ Der Kollege Rahm forderte nun von Koch, ihm doch
dann schriftlich mitzuteilen, ob sich die VSPD. beteiligen wolle
oder nicht. Auch machte der Kollege Rahm Koch darauf aufmerksam,
daß nicht die KPD. eingeladen habe, sondern der Orts-
ausschuß des ADGB. Koch sagte zu, dem Ortsausschuß mit-
teilen zu wollen, ob sich die VSPD. beteiligen wolle oder nicht. Aber
bis zur Stunde ist weder eine schriftliche noch eine mündliche Antwort
an den Ortsausschuß oder an den Kollegen Rahm gelangt.
   Die anwesenden Kollegen des Ortsausschusses und der KPD.
beschlossen in der Sitzung vom 22. Februar, die Märzfeier gemein-
sam zu veranstalten, aber auch mit der VSPD., wenn sich
dieselbe bereit erklären sollte. Wir haben dann immer noch mit der
Bestellung der Karten gewartet bis zum 6. März, mußten dann
natürlich dazu übergehen, weil sich die VSPD. nicht gemeldet
hatte, die Feier allein zu arrangieren und die Beteiligungskarten
nur vom Ortsausschuß und der KPD. unterzeichnen zu lassen.
   Dieses der Sachverhalt. Wir begreifen also nicht, wie
das Organ der VSPD., das „Solinger Volksblatt“, in seiner Notiz
vom 15. März von „gebrochenen Vereinbarungen“ seitens des Orts-
ausschusses schwafeln kann. Wenn Vereinbarungen gebrochen werden
können, müssen solche schon bestanden haben, entweder schriftlich oder
mündlich. Aber in diesem Falle hat sich der Vertreter der VSPD.
gar nicht bemüht, etwas zu vereinbaren, deshalb kann der
Ortsausschuß diese auch nicht gebrochen haben.
   Kollegen und Genossen, nun gilt es, alle diejenigen, die nicht
zu den 15 gehören, die es abgelehnt haben, die Märzfeier ge-
meinsam mit dem Ortsausschuß und der KPD. zu veranstalten,
aufzurütteln, damit die Demonstration am Sonntag, den
18. März, an dem Tage der 75. Wiederkehr der Gedenktage von 1848,
zu einer machtvollen Kundgebung der Solinger Arbeiterschaft wird.
   Kollegen und Genossen, sorgt dafür, daß die Gegenveranstaltung
der VSPD. wegen Mangels an Beteiligung nicht zustande kommt
oder daß die 15 die Demonstration am Biertische
machen können. Hier in Solingen dürfen bei solchen Anlässen,
wie die Märzfeier, keine zwei Veranstaltungen getroffen werden,
solche Veranstaltungen müssen getragen sein von dem Willen der
gesamten Arbeiterschaft. Es darf nicht mehr vorkommen,
daß durch die Quertreibereien eines einzelnen solche
Veranstaltungen auseinandergetrieben werden. Klärt die Kollegen
der VSPD. auf, was vorgekommen ist, und fordert sie auf, an den
Veranstaltungen teilzunehmen, die den Willen der Massen zum Aus-
druck bringt.
   Jede Sonderveranstaltung einer einzelnen Partei darf wegen zu
geringer Beteiligung nicht zustande kommen, dann müssen sich auch
die 15 dem Willen der Masse beugen.
                                           Der Ortsausschuß des ADGB. I.A.: Ernst Rahm.


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Stadtarchiv Solingen (16. März 2023). 16. März 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 18. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aeg5


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