1. März 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 1. März 1923

Die konkreten Auseinandersetzungen um Lohnerhöhungen im Transportgewerbe von Solingen und Ohligs verbindet die Bergische Arbeiterstimme in gewohnter Weise mit der allgemeinen kommunistischen Propaganda.

                Arbeiter, erkennt eure Macht!
   Eine gute Portion gewerkschaftlichen Schneid scheinen die Trans-
portarbeiter von Ohligs zu besitzen. Durch die rasende Preissteige-
rung fast aller Lebensmittel und Bedarfsartikel waren die Trans-
portarbeiter wie alle anderen Arbeiter im Interesse der Selbsterhaltung
genötigt, wegen Lohnerhöhung an die Unternehmer des Transport-
gewerbes heranzutreten. Die Unternehmer von Solingen hatten Ver-
ständnis für die Not der Arbeiter und bewilligten, während die Unter-
nehmer von Ohligs anscheinend die Not der Arbeiter nicht kennen
und eine Lohnerhöhung ablehnten. Die Ohligser Kollegen nahmen
darauf in einer Versammlung Stellung zu diesem ablehnenden Ver-
halten und beschlossen einstimmig, nicht eher die Arbeit wieder auf-
zunehmen, bis die Unternehmer ihren Standpunkt revidiert und sich
schriftlich bereit erklärt hätten, den in Frage kommenden Lohnsatz
zu bewilligen. Mit einer derartig entschlossenen Tat hatten die
Herren vom Transportgewerbe doch nicht gerechnet und der Streik
hatte noch keine drei Stunden gedauert, als den Streikenden schon
mitgeteilt werden konnte, daß die Forderungen bewilligt waren.
   Hier hat sich also wieder gezeigt, daß das einige und ge-
schlossene Vorgehen der Arbeiterschaft einen
Erfolg zu buchen hat. Aber jeder Arbeiter und jede Ar-
beiterin muß erkennen, daß es erst dann möglich ist, eine grund-
legende Besserung, ja erst dann ein menschenwürdiges Dasein zu
schaffen, wenn die Arbeiter aller Berufe wie ein Mann zusammen-
stehen. Und daß dann, wenn die gesamte Arbeiterschaft die Arbeit
ruhen läßt, der Pulsschlag des deutschen wirtschaftlichen Lebens stockt.
Dann wird die Arbeiterschaft eine Macht reprä-
sentieren, der nichts widerstehen kann.
   Will die Arbeiterschaft sich hierzu aufschwingen, so muß der
einzelne Arbeiter sich innerlich selbst geistig durchringen. Er muß
erkennen, welch falsches Spiel mit ihm getrieben wird. Weiter muß
er sich politisch organisieren, muß erkennen, daß sämtliche bürger-
lichen Parteien einschließlich der VSPD. seine Feinde sind, daß sie
alle an der Erhaltung des bestehenden kapitalistischen Systems inter-
essiert sind. Und da dieses System nur Ausbeuter und Ausgebeutete
kennt, werden die Vertreter der genannten Parteien nie etwas für
die Arbeiter tun können.
   Hat jeder Arbeiter sich geistig so durchgerungen, dann wird eine
neue Weltordnung entstehen, in welcher die Not und das Elend genau
so vergehen werden wie der Schnee vor der Frühjahrssonne.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (1. März 2023). 1. März 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 24. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/aef5


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