Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 4. August 1923
Deutsche Geldpolitik: „Innenpolitisch stimmt pessimistisch die Ansicht, daß die steigende Not Deutschland vor schwere innere Konflikte stellen wird. Die Devisenentwicklung der letzten Zeit ist kein Ergebnis der Ruhraktion. Sie beruht vielmehr auf der völligsten Verkennung wirtschaftlicher und finanzieller Zusammenhänge, wie sie seit Jahren in Deutschland üblich ist.“
Wirtschaftlicher Teil.
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Ueber die Entwicklung auf dem Devisenmarkt
geht uns aus dem Industriegebiet eine Zuschrift zu, mit deren
Gedankengang wir zwar nicht in allen Teilen übereinstimmen,
deren Schlußfolgerungen jedoch von sehr großem Interesse
sind. Die Zuschrift lautet:
„Nach langem Sträuben hat sich die Reichsbank doch dazu
entschließen müssen, den aus innerpolitischen Erwägungen un-
ternommenen Versuch aufzugeben, die Devisenkurse in Deutsch-
land künstlich unter Weltmarktparität zu halten. Diese Ver-
suche haben dazu geführt, daß diejenigen Importeure, die zur
Bezahlung ihrer Rechnungen im Ausland unbedingt Devisen
haben mußten, ihren Bedarf im Ausland deckten und dadurch
gegen ihren Willen die Mark weiter verschlechterten. Eine
weitere Folge des künstlichen Kursdruckes bestand darin, daß
die einschneidenden Repartierungen in der Devisenzuteilung
– nur um diesen Preis ließ sich der niedrige Devisenbestand
aufrecht erhalten – eine Einfuhr immer mehr unmögleich [sic!] machten.
Dadurch wurde eine stürmische Nachfrage nach den geringen
im Inland noch befindlichen Warenvorräten ausgelöst, die man-
gels genügenden Angebotes erhebliche Preissteigerungen zur
Folge hatte, die ihrerseits wieder neuen Geldumlauf verursachte
und dadurch die innere Markverschlechterung weiter trieb.
Gerade die wahnsinnige Spanne zwischen dem geringen Gold-
bestand der Reichsbank, der sich jeden Tag um 6-7 Goldmillio-
nen verringert, und der Steigerung des Notenumlaufes, der täg-
lich um mehr als 2000 Milliarden sich vermehrt, muß die Mark
ständig tiefer fallen lassen, zumal die fortschreitende Preisent-
wicklung die Nachfrage nach Banknoten ständig steigert. Mark-
verschlechternd wirken auch politische Erwägungen. Außen-
politisch ist das Ausland für die Mark fast hoffnungslos, da es
glaubt, daß Frankreich allen internationalen Verständigungsver-
suchen zum Trotz die restlose Kapitulation Deutschlands erzwin-
gen will. Innenpolitisch stimmt pessimistisch die Ansicht, daß
die steigende Not Deutschland vor schwere innere Konflikte
stellen wird. Die Devisenentwicklung der letzten Zeit ist kein
Ergebnis der Ruhraktion. Sie beruht vielmehr auf der völlig-
sten Verkennung wirtschaftlicher und finanzieller Zusammen-
hänge, wie sie seit Jahren in Deutschland üblich ist. Keine
einzige Regierung der Nachkriegszeit hat gewagt, darauf hinzu-
weisen, daß die Ausgaben immer den Einnahmen entsprechen
müssen, und daß deshalb entweder die Ausgaben zu verringern
oder die Einnahmen zu steigern sind; dieses Verfahren gilt so-
wohl für den Einzelhaushalt als auch für den Staatshaushalt;
es muß in seinen Auswirkungen zu einem vernünftigen Ausgleich
zwischen „Lohn“ und „Leistung“ und zu einer gesunden staat-
lichen Finanz- und Wirtschaftspolitik führen. Statt auf diese
alten Weisheiten hinzuweisen, hat man sich auf das allein nega-
tive, zersetzend wirkende Mittel der Schaffung nicht vorhande-
ner Kaufkraft durch Notendruck geworfen, um auf diese Weise
den Glauben an die „neuzeitlichen Errungenschaften„ und an
die Fortführung einer verkehrten Reparationspolitik länger auf-
recht erhalten zu können. Wir ernten jetzt die Saat vergan-
gener Jahre. Die „Patrioten“ sind nicht die gewesen, die die
Wahrheit umzubiegen und der öffentlichen Meinung die Speku-
ation [sic!] als schuldig hinzustellen versuchten. Es waren vielmehr
diejenigen, die als „Devisenhamsterer“ angeklagt wurden, die
aber nichts anderes taten, als in Vorahnung künftiger mit Not-
wendigkeit eintretender Dinge an ihrem Devisenbesitz festzuhal-
ten und dadurch die Grundlage für den Aufbau einer neuen deut-
schen Währung und für die Rettung der deutschen Wirtschaft
vor stärkster Beschäftigungslosigkeit zu schaffen. Leider war
ihre Zahl zu gering; denn sonst hätten wir nicht die jetzige
Knappheit an Devisen (der gesamte deutsche Besitz an Devisen
beträgt vielleicht 2–2 ½ Prozent Goldmilliarden), die in keinem
Verhältnis zur Größe der deutschen Wirtschaft steht, und die
uns in den kommenden Monaten noch die größten Schwierig-
keiten machen wird.“
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Stadtarchiv Solingen: RK (4. August 2023). 4. August 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 17. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aef2