Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 10. Januar 1923

Die wirtschaftliche Lage sowie die Entwicklung der Preise wird detailliert dargestellt, auch ein Blick ins Ausland wird geworfen.

               Wirtschaftliche Rundschau.
     (Nach dem Stande vom 7. Januar 1923.)

   W.K.S. Allgemeine Lage. Aller Augen
waren die letzte Woche nach Paris gerichtet. Durch den
jähen Abbruch der Konferenz ist eine sehr ernste Lage ge-
schaffen worden. Deutschland geht politisch und wirt-
schaftlich seinen schwersten Tagen entgegen. Wenn nicht
durch ein Wunder noch Hilfe schnell und ausgiebig
kommt, dann steht der deutschen Wirtschaft das Schwerste
bevor. Selbst bei günstiger Lösung der Reparationsfrage
wäre mit sehr ernsten, allerdings dann vorübergehenden
Schwierigkeiten zu rechnen gewesen.

  Geldmarkt. Durch den Abbruch der Pariser
Konferenz wird mit einer weiteren erheblichen Ver-
schlechterung der Reichsmark gerechnet. Die Eindeckung
mit Devisen seitens der Spekulation, der Industrie-
und Handelskreise haben in größerem Umfange wieder
begonnen.

 Handel, Gewerbe und Industrie. Das
Preisniveau hat sich derartig rapide überall gehoben, daß
die Möglichkeit der Versorgung der Bevölkerung und die
Wettbewerbsfähigkeit unserer heimischen Produktion auf
den Auslandsmärkten immer ernster in Frage gestellt
wird. Die Preise der deutschen Erzeugnisse sind be-
reits derart übersteigert, daß wir bei weiterem Fortgang
der Inflationswirtschaft mit Krisen und Absatzstockungen
zu rechnen haben werden. Auch aus fast allen Ge-
werbezweigen wird uns über einen zum Teil recht be-
trächtlichen Konjunkturrückgang geklagt. — Das Kilo
Zeitungspapier wurde für Januar auf 560 M festgesetzt.
Jeder Protest der Zeitungen bleibt wirkungslos. Eine
weitere große Anzahl von Zeitungen ist neuerdings ein-
gegangen. — Im Dezember wurden 42 neue Konkurse
angemeldet. (Nov. 28.) Im Jahre 1922 waren es 907
Konkurse gegen 3042 i. J. 1921. — Die Zuschläge zu
den Ausfuhrabgabensätzen wurden aufgehoben, da die
Gestehungskosten der Waren den Weltmarktpreis viel-
fach erreicht und teilweise sogar überschritten haben.

  Holzmarkt. Die jüngste Zeit brachte etwas mehr
Ruhe in den Einkauf von Nadellang- und -Blockholz,
keinesfalls aber durch mangelnden Bedarf hervorge-
rufen, sondern durch die Befürchtung eines Umschwunges,
die vielen Käufern die Zurückhaltung im Einkauf auf-
erlegte. Von einem merklichen Rückfluten der Preis-
welle konnte aber bislang noch nicht die Rede sein.

  Warenmarkt. Weitere Preissteigerungen in
einer Reihe von lebensnotwendigen Produkten sind ange-
kündigt. Die Steigerung der Frachten trägt wesent-
lich dazu bei. In jedem lebensnotwendigen Artikel darf
man heute drei Fünftel des Preises auf Frachten, Porto,
Kreditzinsen und Steuern rechnen. — Wegen zu er-
wartenden weiteren Preiserhöhungen für Zucker hält das
starke Eindeckungsbedürfnis an. Die Weltzuckerbestände
betrugen am Jahresende 1 614 400 To. gegen 2 400 600
To. und 2 249 900 To. in den beiden Vorjahren. —
Die Nachfrage nach Stickstoffdüngemittel ist größer als

das Angebot. Die Erzeugung erlitt einen erheblichen
Ausfall durch den Streik in Oppau.

   Landwirtschaft. Die Aussichten für das kom-
mende Erntejahr sind gegenwärtig noch recht trübe.
Die Wintersaaten weisen im allgemeinen keinen guten
Stand auf. Die Witterung ist noch dazu recht un-
günstig. — Die Kreditnot der Landwirtschaft wird
größer. Leider wird die Beobachtung gemacht, daß die
sonst nötige Düngung infolge der teuren Düngemittel in
diesem Jahre in der Menge zurückblieb. Produktions-
rückgang und vermehrter Einkauf im Auslande wird die
Folge sein. — Die Hopfenernte 1922 beträgt bei 12 014
Hektar (1921: 11279) Anbaufläche 62 161 Dztr. (1921:
32 192; 1914: 22 761 Hektar 169 477 Dztr.). — In
einer Konferenz des Reiches und der Länder soll in
diesem Monat noch das längst geplante Produktions-
programm für die Landwirtschaft aufgestellt werden.

  Produktenmarkt. Das neue Jahr begann
im Geschäft mit außerordentlicher Ruhe. Käufer wie
Verkäufer verhalten sich abwartend.

  Lebenshaltung. Die Teuerung steigt weiter.
Die Reichsindexziffer ist im Dezember auf 68 506 gegen-
über 44 610 im November gestiegen. Die Gesamtkosten
der Lebenshaltung betragen somit für Dezember das 685-
fache der Vorkriegszeit. Gegenüber dem Vormonat
beträgt die Steigerung 53,66 Proz.

  Baumarkt. Die Einschränkungen durch die Ver-
teuerung des gesamten Bauens haben im Dezember
weiter zugenommen. Der Rückgang der Bauvorhaben
überschreitet jede Erwartung. Im Dezember wurden
im ganzen Reich nur 458 neue Bauten gemeldet d. s.
ein Achtel der Neubauten im Dez. 1921.

  Verkehr. Industrielle Kreise protestieren in
schärfster Form gegen die neuen Tariferhöhungen der
Reichsbahn, die den Beginn einer ganz neuen bedeuten-
den Erhöhung aller Warenpreise darstellen. — Durch die
Tariferhöhungen bei der Post hat sich der Briefverkehr
bisher um 30 bis 40 v. H. vermindert. — Die Schiff-
fahrt auf dem Rhein kann gegenwärtig wieder ohne Ein-
schränkung bis nach Kehl-Straßburg ausgeübt werden.
Die Lage im Verfrachtungsgeschäft ist erheblich ruhiger
geworden.

   Audland. Die Wiener Frühjahrsmesse findet v.
18. —24. März statt — Die ungarische Industrie wird
diesmal auf der Leipziger Frühjahrsmesse mit einer
eigenen Meßaustellung vertreten sein. — Frankreich hat
heute 197 steuerpflichtige Multimillionäre. Die Ver-
mögen unter der Bauernbevölkerung sind nach der Sta-
tistik durchschnittlich um 180 Prozent höher als in den
Städten. — In Dänemark sind infolge Arbeitslosigkeit
200 Familien aus dem nördlichen Teile von Jütland
die durchweg Ackerbauern sind, zur Auswanderung nach
Kanada vorgemerkt. — Die internationale Mustermesse
in Barcelona findet v. 17. —28. März statt. — Die finan-
zielle Lage in Japan wird als etwas beunruhigend ge-
meldet. Eine starke Geldknappheit wird konstatiert. —
Die Baumwoll-Ernte in Amerika wird mit Ausnahme
der Ernte des letzten Jahres als die schlechteste seit 1903
bezeichnet.