Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 7. Juni 1923
Deutschland bezieht einen Teil seiner Lebensmittel aus dem Ausland, was bei dem geringen Wert der Reichsmark hohe Ausgaben bedeutet. Investitionen in die Ausbildung der Landbevölkerung wird daher als Lösungsansatz gesehen, um mehr landwirtschaftlichen Ertrag und mehr Unabhängigkeit vom Ausland zu erreichen.
Gemeinde und Nahrungsmittelerzeugung.
Den Bewohnern und den Verwaltungen der länd-
lichen Bezirke des unteren Kreises empfehlen wir die
nachfolgenden Anregungen zur besonderen Beachtung.
Die Schriftleitung des „Solinger Tageblattes“.
Eines der schwersten Probleme ist unsere Versorgung mit Brot.
Wir sind leider immer noch gezwungen und werden es weiter sein,
einen Teil unserer Nahrungsmittel vom Auslande zu beziehen.
Aber diese Bezüge aus dem Ausland kosten bei dem Tiefstand
unserer Valuta ungeheure Beträge, und deshalb wird man jedes
Mittel anwenden, das unsere eigene Nahrungsmittelversorgung
sicherstellt. Der Steigerung des Bodenertrages wird daher auch
von der deutschen Landwirtschaft die größte Bedeutung beigemes-
sen. Bedauerlich ist dabei, daß ein großer Teil der Kleinbauern
in der Verwendung der Mittel zu dieser Steigerung nicht immer
eine glückliche Hand hat. Der Mißerfolg liegt hier häufig nicht
im Mangel an Düngung, sondern in dem Umstand, daß die
Dungstoffe nicht im richtigen Verhältnis zum Boden- und Pflan-
zenbedürfnis verabreicht werden. Zwar wird in dieser Beziehung
durch Errichtung von Landwirtschaftsschulen, landwirtschaftlichen
Winter- und Fortbildungsschulen viel getan, aber es könnte doch
noch mehr geschehen, wenn schon durch die Volksschule, durch Neu-
gestaltung des Naturkundeunterrichtes die ersten Anfänge ge-
macht würden. Die Volksschule ist zwar in erster Reihe eine Er-
ziehungsanstalt; aber sie hat auch lebenspraktischen Erfordernissen
zu dienen, und das tut sie, wenn sie die Bildungsmittel nach le-
benspraktischen Bedürfnissen einstellt. Derartige Vorschläge sind
schon früher von Pädagogen gemacht worden. Man wollte errei-
chen, daß sich das Schulkind schon in frühen Jahren eine ein-
gehende Kenntnis der physikalischen und chemischen Eigenschaf-
ten seiner heimatlichen Scholle erwirbt, um, auf diesen Kennt-
nissen fußend, dem Boden Höchsterträgnisse abzuringen.
Mit diesen Bestrebungen beschäftigt sich in den ,,kommunal-
politischen Blättern“ auch der Stadtverordnete Strobel-Karls-
ruhe. Er fordert hierbei besonders auch die Mitarbeit der Ge-
meinden. Zu den Aufwendungen, die die Gemeinde zu machen
hat, gehören neben der Beschaffung einige Apparate. Chemikalien
und Bücher, vor allen Dingen aber die Bereitstellung eines Ver-
suchsfeldes, auf dem lebenswahre Anschauungsexperimente an-
gestellt werden, und aus dem Jung und Alt im Dorfe Nutzen
ziehen können. Als Beispiel wird der Bericht einer Landgemeinde
– Bisingen in Hohenzollern – angeführt. Dort wurde im Laufe
des vergangenen Winters in eingehender Weise der Boden der
Gemeinde experimentell erforscht. Es wurden daran anschließend
die Nährbedürfnisse der dort üblichen Kulturpflanzen behandelt,
an Hand dieser naturkundlichen Grundlagen zweckmäßige Dün-
gungstabellen für einzelne Felder ausgearbeitet. Dem instruk-
tiven Unterricht wohnten nicht nur die fortbildungsschulpflichtige
Jugend, sondern auch zahlreiche Erwachsene bei, ein Beweis, wie
groß das Bedürfnis des Landvolkes nach einem zweckmäßig aus-
gestalteten Naturkundeunterricht, der Berechnungen über Teil-
und Volldüngung, Saatgutverwendung und Bodenbearbeitung,
sowie die einzelnen Ernteeträgnisse bringt, ist.
Wenn auch bei der finanziellen Not der Gemeinden das ge-
nannte Beispiel nicht überall wird nachgeahmt werden können, so
verdienen doch diese Bestrebungen, die letzten Endes ein nationa-
les Problem sind, die Unterstützung der weitesten Kreise. -kl-
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Stadtarchiv Solingen: RK (7. Juni 2023). 7. Juni 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aeae